Dilettantische Ermittlungsmethoden bei der Rosenheimer Kriminalpolizei
- Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Traunsteiner Landgerichts gerügt und aufgehoben, weil dieses sich auf fragwürdige Ermittlungsmethoden der Kriminalpolizei gestützt hatte.
- Es ging um den Brand in der Doppelhaushälfte einer 75 Jahre alten Frau und ihrer 52-jährigen Tochter.
- Im Zuge der Ermittlungen hatte eine Kriminalbeamtin ein Arzt-Patienten-Gespräch ohne Einwilligung der 75-Jährigen belauscht.
Von Susi Wimmer
Wenn in der ZDF-Vorabendserie allwöchentlich "Die Rosenheim-Cops" ermitteln, dann sind weiß-blauer Himmel, Wohlfühl-Kriminalfälle sowie überraschende Wendungen garantiert. Die "unnachahmlich kuriosen Kommissare in Bayern", wie das ZDF sie tituliert, werden allerdings in der Realität von den Kriminalern in Rosenheim zuweilen übertroffen. Nicht was das Wohlfühlen anbelangt, eher das "unnachahmlich Kuriose": Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat jetzt ein Urteil des Traunsteiner Landgerichts gerügt und aufgehoben, weil dieses sich auf fragwürdige, ja sogar ungesetzliche Ermittlungsmethoden der Kriminalpolizei gestützt hatte. Nach einem Brand in Rosenheim war eine Kripobeamtin einer verletzten Verdächtigen im Krankenhaus mit ins Behandlungszimmer gefolgt, hatte das Patienten-Arzt-Gespräch mitgehört und damit laut BGH "die Zwangssituation" der 75 Jahre alten Frau, dem Arzt genau Bericht zu erstatten, "bewusst ausgenutzt".
Die Ausbildung der bayerischen Polizei ist umfassend: Schießtraining, Selbstverteidigung, Einsatzgeschehen. Auch juristische Schulungen gehören dazu. Die echten Rosenheimer Cops müssen da allerdings geschwänzt haben. Denn nach dem Brand am 19. Juli 2016 im Ortsteil Happing lief gesetzlich einiges schief. In der betreffenden Doppelhaushälfte lebten eine damals 75 Jahre alte Frau und ihre 52-jährige Tochter, sie sollten aufgrund von Mietrückständen an diesem Tag zwangsgeräumt werden. Mutter und Tochter gaben an, jeweils zehn Tabletten eines Antidepressivums eingenommen zu haben. Vor Gericht wurde den Frauen vorgeworfen, anschließend an mehreren Stellen Benzin verschüttet und Feuer gelegt zu haben. Nach Verpuffungen und Bränden im Haus wurden die Frauen von der Feuerwehr via Drehleiter aus dem brennenden Haus gerettet.
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Da sich der Verdacht gegen Mutter und Tochter richtete, nahm die Kripo sie in getrennten Polizeiautos mit zur Untersuchung ins Krankenhaus - und belehrte sie vorschriftsmäßig gleich am Anfang über ihre Rechte. Dreimal erklärte die Mutter im weiteren Verlauf, sie wolle keine Angaben und von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen. "Selbstbelastungfreiheit", nennt das der Jurist. Den Rosenheimer Kriminalern war das allerdings egal. Auf der Fahrt ins Krankenhaus versuchte eine zivile Kriminalpolizistin, die alte Frau auszuhorchen und lenkte das Thema immer wieder auf den Brand.
Im Krankenhaus dann marschierte sie mit ins Behandlungszimmer, wo die nach der Überdosis Psychopharmaka angeschlagene 75-Jährige dem Arzt den Brandhergang ganz genau schildern musste, damit dieser sie korrekt behandeln konnte. Sie hätten "Benzin ausgeschüttet und das ausgeschüttete Benzin angezündet, überall im Erdgeschoss", erzählte sie dem Doktor. Die anwesende Kriminalhauptmeisterin rannte daraufhin nach draußen zu ihrem Kollegen und fragte, ob die Frau denn belehrt worden sei. Als dieser bejahte, ging sie wieder ins Behandlungszimmer und lauschte weiter.
Unter anderem gestützt auf dieser Aussage, verurteilte das Landgericht Traunstein die Mutter zu vier Jahren Gefängnis, die Tochter zu viereinhalb. Der Münchner Strafverteidiger Adam Ahmed, der die 75-Jährige vor Gericht vertrat, rügte schon während der Verhandlung das Vorgehen, zog nach dem Urteil bis vor den Bundesgerichtshof, der ihm in seiner Entscheidung vom 6. März 2018 (1 StR 277/17) Recht gab. Der BGH stellte fest, dass die Polizei gegenüber der Beschuldigten "zu keinem Zeitpunkt auf ihr Recht zu Schweigen Rücksicht genommen" habe. Letztlich sei die Frau "auf diese Weise einer dauerhaften Befragung ausgesetzt" gewesen. Nach diesem Rüffel stellte es der BGH dahin, ob nicht auch das Arzt-Patienten-Gespräch ohnehin einem absoluten Verwertungsverbot "wegen einer Verletzung des Kernbereichsschutzes" unterliegen würde.
Einen Tag nach dem Brand hatte die 75-Jährige sich noch einmal unter anderem derart geäußert, dass "alles zu viel gewesen sei". Sollten diese Aussagen nicht ausreichen, um den einzelnen Tatbeitrag von Mutter und Tochter herauszuarbeiten, so weist der BGH daraufhin hin, dass "im Zweifel für den Angeklagten" auch eine wechselseitige Beihilfetat der Angeklagten in Betracht kommen könnte. Im Klartext: Es wird neu verhandelt unter dem weiß-blauen Wohlfühl-Himmel. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der kuriosen - und dilettantischen - Arbeit der Rosenheimer Kriminalpolizei der nächste Prozess eine überraschende Wendung nimmt.
Rechtsanwalt Dr. Adam Ahmed in München
31. Mai 2018
Foto: Gegen das Polizeiaufgabengesetz wurde bereits in München und anderen Städten (im Bild Nürnberg) demonstriert. Die größte Demo wird am Vatertag erwartet. (Foto: dpa)