Schwierige Ausgangslage

In der Debatte um Lockerungsmaßnahmen für psychisch kranke Straftäter beruft sich der Oberbürgermeister auf eine Zusage, die es so nicht gab.

In der Debatte um Lockerungsmaßnahmen für psychisch kranke Straftäter beruft sich der Oberbürgermeister auf eine Zusage, die es so nicht gab

In der Frage, ob psychisch kranke Straftäter in Straubing nun doch Ausgang bekommen, stellt sich das Sozialministerium jetzt öffentlich hinter die Vertreter der Stadt. "Die bisherige Praxis, wonach aus dem Bezirkskrankenhaus Straubing heraus grundsätzlich nicht gelockert wird, wird fortgeführt", erklärte ein Sprecher des Ministeriums. Straubings Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU) wertet dies als Bestätigung. Zum Hintergrund: Erstmals seit der Eröffnung des Bezirkskrankenhauses (BKH) im Jahre 1990 durfte kürzlich ein 46-jähriger Maßregelvollzugspatient in Straubing die Einrichtung in Begleitung eines Pflegers und einer Psychologin für zwei Stunden verlassen. Die Strafvollstreckungskammer Straubing hatte das so angeordnet.

Für Pannermayr ist das Urteil zwar "rechtlich nachvollziehbar", es breche aber "vollkommen mit der bisherigen Handlungsweise". Er sagt: "Entscheidende Grundlage für die Zustimmung der Stadt zur Errichtung der Forensischen Klinik war die klare Zusage des Freistaats Bayern, dass es sich um eine geschlossene Einrichtung ohne Lockerung handelt." Eine rechtsverbindliche Zusage der Staatsregierung, auf die sich die Vertreter der Stadt berufen könnten, hat es jedoch nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung zu keiner Zeit gegeben. Im Gegenteil, das Sozialministerium hatte am 24. Februar 1978 sogar deutlich zu verstehen gegeben, dass die von der Stadt Straubing gewünschten Zusicherungen nur mit "Einschränkungen gegeben werden" könnten. Das heißt im Klartext: Einige Straubinger Kernforderungen könnten auf rechtliche Schranken stoßen. Dabei ging es insbesondere um die Forderung, dass es aus dem BKH Straubing keine Entlassungen geben dürfe. Und eben auch um jene Forderung, dass psychisch kranke Straftäter - so lange sie in Straubing sind - von Lockerungsmaßnahmen ausgeschlossen bleiben.

All das wäre im Grunde nur noch für die Straubinger Stadtchronik relevant, hätte das BKH Straubing nicht über viele Jahre hinweg in einer Weise gehandelt, die aus Sicht der Münchner Anwälte Adam Ahmed und David Mühlberger "mit Recht und Gesetz überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind". Tatsache ist: Obwohl das Sozialministerium als Fachaufsichtsbehörde 1978 selbst hervorhob, dass auf Vollzugslockerungen "aus ärztlicher Sicht" nicht verzichtet werden könne, und obwohl den Ministerialbeamten auch klar war, dass es für das BKH Straubing kein Sonderrecht in Form eines "Lex Straubing" geben könne, wurde dort bislang kein einziger Maßregelvollzugspatient gelockert.

Solche, die nach Ansicht von Gutachtern lockerungsfähig waren, wurden dazu in andere Bezirkskrankenhäuser verlegt - etwa nach Mainkofen oder Ansbach. Dieser Praxis machte nun aber die Strafvollstreckungskammer Straubing ein Ende. Die Kammer zog ein Fazit, das den Ministerialen in München längst hätte bekannt sein müssen: Dem 46-jährigen Patienten die Lockerung zu verweigern, sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig". Das begründete die Kammer so: Da es für das BKH Straubing nun einmal keine gesetzliche Ausnahme gebe, müsse die Einrichtung - wie alle anderen bayerischen Bezirkskrankenhäuser auch - geeigneten Patienten Vollzugslockerungen gewähren.

Nach diesem Kammerbeschluss trat Straubings OB Pannermayr auf den Plan und betonte, er werde "klipp und klar einfordern, dass die damals gegebenen Zusagen ohne Abstriche eingehalten werden". Wie aber konnte es in Straubing überhaupt zu der Legendenbildung kommen, der Freistaat Bayern habe die klare Zusage gegeben, beim BKH Straubing handele es sich um eine Einrichtung ohne Lockerung? Die Antwort auf diese Frage gibt womöglich das Protokoll der Stadtrats-Sondersitzung vom 30. November 1977. Daraus geht hervor, dass an diesem Tag ein Spitzenbeamter des Sozialministeriums genau das versprach, was viele in Straubing gerne hören wollten: "Kein Insasse der Sonderanstalt", also des BKH Straubing, werde dort in die Freiheit entlassen, sagte er. Und Maßnahmen der Lockerung, wie "Urlaub und Ausgang", würden "nicht möglich sein".

Allerdings: Ein Vertreter der SPD-Stadtratsfraktion warnte bereits in dieser Sitzung, die Stadt bekomme hier keine Zusagen, die "gesetzlich abgesichert" seien. Die Warnung zeigte immerhin eine gewisse Wirkung: Im Gegensatz zu 1973, als der Straubinger Stadtrat noch einstimmig beschlossen hatte, dass sich Straubing um die Errichtung eines Bezirkskrankenhauses bewerben müsse, fiel am 5. Juni 1978 die Entscheidung "mit verhältnismäßig knapper Mehrheit aus", wie ein Vertreter des Sozialministeriums damals festhielt. Mit 20 zu 15 Stimmen hatte da der Straubinger Stadtrat folgenden Beschluss gefasst: "Der Errichtung der Sonderanstalt für geisteskranke Rechtsbrecher im Gebiet Lerchenhaid wird zugestimmt."

In Straubing brach daraufhin ein Sturm der Entrüstung los. Es war davon die Rede, auf Straubing komme "ein unübersehbares, unkontrollierbares und von Seiten der Stadt unbeeinflussbares Sicherheitsrisiko" zu. Argumente wie diese erleben augenblicklich in Straubing eine Renaissance. Toni Schuberl, der rechtspolitische Sprecher der Landtags-Grünen, kann die Sorgen der Bevölkerung und des OB zwar verstehen. Er warnt aber vor der Gefahr, "in der emotionalen Debatte die rechtlichen Tatsachen außer Auge zu verlieren und die gefühlte Gefahr zu sehr nach oben zu schrauben".


Quelle: https://www.sueddeutsche.de/bayern/straubing-schwierige-ausgangslage-1.4352803