Straubing: Zeitenwende in Lerchenhaid

Der Deal von 1977 war: Ja zur Klinik für psychisch schwerkranke Straftäter in Straubing – aber nur, wenn es für die Patienten keinen Ausgang gibt. Nun hat ein Anwalt genau das erstmals erwirkt.

Gerichtsbeschluss rüttelt an 40 Jahre altem Versprechen des Freistaats

Am Telefon erzählt der Patient, für den Anwalt Dr. Adam Ahmed die Lockerung erwirkt hat: „Die Lockerung bekommt man nicht geschenkt, man muss knallharte Kriterien erfüllen." Es müsse sichergestellt sein, dass der Patient „keinen Unfug" macht. Beim Freigang dürften Patienten mit einem Pfleger oder Psychologen in die Stadt, erzählt er. „Die Bevölkerung braucht keine Angst haben vor uns – da haben schon wir mehr Angst." Über den Erfolg vor Gericht freut er sich: „Das zeigt, dass sich eine politische Vereinbarung nicht über das Gesetz hinwegsetzen kann."

Entlassung, Urlaub und Ausgang komme für Patienten nicht in Frage, versichert der damalige Ministerialdirektor Dr. Hans Schmatz dem Stadtrat im November 1977. Wie kann er das versprechen, wenden SPD-Stadträte ein, wenn das neue Unterbringungsgesetz noch gar nicht fertig geschrieben ist? Der Ministerialdirektor bleibt dabei: „In Straubing wird niemand Urlaub oder Ausgang bekommen."

Ein rein politisches Versprechen, sagt Dr. Adam Ahmed heute. Und Recht übertrumpft Politik. Der Strafverteidiger, der schon Gustl Mollath vertrat, hat für einen Mandanten im Bezirkskrankenhaus erwirkt: Sein Vollzug muss gelockert werden – und zwar in Straubing. Denn das sei die Rechtslage, begründet dieStrafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 1. Februar. Dr. Ahmed zitiert mit Einverständnis des Patienten aus dem Beschluss: Mit „hoher Wahrscheinlichkeit" sei es rechtswidrig, dass das BKH Straubing seinen Patienten den Freigang „pauschal" verwehre. Mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig also laut Gericht auch das Versprechen des Freistaats. Die Klinik sei daher „zu verpflichten, dem Antragsteller die beantragten Lockerungen zu gewähren". Der Bezirk als Träger des BKH sieht das auf Anfrage anders.

Da in Straubing nur Patienten „mit besonders hohem Sicherungsbedarf" untergebracht würden, komme eine Lockerung nicht in Frage. Vielmehr sei es Praxis, den jeweiligen Patienten zu verlegen und andernorts zu lockern. Der Beschluss sei eine Einzelfallentscheidung. „Käse", sagt Dr. Ahmed. Er zitiert aus dem Beschluss: Die Klinik „will nur nicht die zwingenden rechtlichen Schlüsse ziehen", heißt es dort. Darum sei sie zu verpflichten. Darauf angesprochen, weicht der Bezirk in einer kurzen Stellungnahme aus und teilt lediglich mit, es werde geprüft, ob der Patient nicht doch verlegt werden kann.


Quelle: https://www.idowa.de/inhalt.straubing-zeitenwende-in-lerchenhaid.528d63a4-b2aa-436a-b2c6-5e89586a48db.html