SWP Online - Dschihad-Reisende: Münchner Anwalt will Terror-Paragraphen kippen – Rechtsanwalt Dr. Adam Ahmed

Viele „Dschihad-Touristen“ werden noch vor der Ausreise festgesetzt und verurteilt. Bald dürfte die Praxis vor dem Verfassungsgericht landen – wird sie gekippt, haben die Ermittler ein Problem.

Viele „Dschihad-Touristen" werden noch vor der Ausreise festgesetzt und verurteilt. Bald dürfte die Praxis vor dem Verfassungsgericht landen – wird sie gekippt, haben die Ermittler ein Problem.

Bevor Samir A. die Koffer packte und ein Flugticket in die Türkei löste, gab er sich auf Facebook kämpferisch: Er wolle sterben, um zu leben.  „Die Abkürzung zum Paradies ist der Dschihad im Namen Allahs“, schrieb er. Derzeit muss der 27-Jährige mit einer Gefängniszelle vorlieb nehmen: Ermittler setzten ihn vor der Ausreise am Münchner Flughafen fest. Im Mai 2016 wurde Samir A. zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt – wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“.

Ein paar markige Sprüche und ein Flugticket – viel mehr braucht es nicht, um als Terrorist zu gelten. Waffen oder konkrete Anschlagspläne müssen Ermittler nicht finden, um Islamisten hinter Gitter zu bringen – weil schon die Ausreise als „Vorbereitung“ von Terror gilt. Der Paragraph, der das ermöglicht, trägt im Strafgesetzbuch die Nummer 89a. Seit 2009 stellt er unter Strafe, sich in Terror-Camps im Ausland ausbilden zu lassen. 2015 wurde er massiv verschärft: Seither kann bereits verurteilt werden, wer nur versucht, etwa nach Syrien auszureisen. Samir A. war der erste von dutzenden „Dschihad-Touristen“ bundesweit, die seither aufgegriffen wurden.

Wenn es nach dem Münchner Strafverteidiger Adam Ahmed geht, ist es auch der Fall, der das Gesetz kippt. „Dieser Paragraph ist vollkommen maß- und grenzenlos und meiner Ansicht nach klar verfassungswidrig“, sagt Ahmed, der Samir A. vertritt. Der Begriff der Vorbereitung sei so weit gefasst, dass nicht mehr klar sei, wo die Strafbarkeit beginnt. „Ist es schon strafbar, wenn ich mir eine wüstentaugliche Hose kaufe? Wenn ich im Internet nach Flügen suche? Oder erst, wenn ich den Koffer packe?“ Die Beweislage sei oft schwierig, und dass es nicht einmal eine „versuchte Vorbereitung“ gebe, zeige, „dass sich diese strafrechtliche Norm in einem juristischen Vakuum befindet“. Derzeit liegt Ahmeds Revisionsantrag beim Bundesgerichtshof (BGH), der bald entscheiden will. „Wenn wir dort nicht Recht bekommen, gehen wir vor das Bundesverfassungsgericht.“

Terror-Ermittler beobachten die Debatte um den Ausreise-Paragraphen sehr genau. Für die Sicherheitsbehörden ist er ein wichtiger Hebel, um die islamistische Szene im Griff zu behalten. „Davon, dass der Paragraph 89a früher oder später mal beim Bundesverfassungsgericht landet, gehen wir alle aus“, sagt ein erfahrener Ermittler. Sollte er verfassungswidrig sein, wäre das aus Sicht der Sicherheitsbehörden ein herber Rückschlag. „Der Paragraph 89a ist der Tatbestand gegen die Syrien-Reisenden. Wenn der wegfällt, wäre unsere Handlungsfähigkeit in weitem Umfang abgeschnitten“, ist zu hören. 

Doch die rechtsstaatlichen Bedenken sind groß – in Justizkreisen glauben viele, dass der Gesetzgeber zu weit gegangen ist. Selbst Richter, die „Dschihad-Reisende“ verurteilen, äußern Zweifel: Er treffe das Urteil mit „Bauchgrimmen“, sagte etwa der Vorsitzende Richter Norbert Ried­mann, als er am Landgericht München Anfang Februar einen Syrien-Reisenden aus Senden bei Neu-Ulm verurteilte. Der Straftatbestand sei „schwammig“ formuliert. Es sei unklar, wie „konkret eine Gewalttat vorbereitet sein muss“, um eine Verurteilung zu rechtfertigen, sagte Riedmann in der Urteilsbegründung – und regte selbst eine Klärung vor dem Verfassungsgericht an.

Das oberste Gericht wird die Kernfrage beantworten müssen: Was gilt noch als „Vorbereitung“ einer Straftat? Und wie weit im „Vorfeld“ darf das Strafrecht präventiv zugreifen? „Nach unserem traditionellen Strafrechtsverständnis dürfen nur Taten bestraft werden, die vollendetes materielles Unrecht umfassen oder den Versuch im unmittelbaren Vorfeld der Tat“, sagt Michael Kubiciel, Jura-Professor an der Universität Köln. „Nach dieser Betrachtung geht der §89a sehr weit, weil er die Tat deutlich ins Vorfeld verlegt.“

Allerdings gibt es Stimmen in der Rechtswissenschaft, die diese Auffassung als überholt betrachten und dem Strafrecht immer stärker auch präventive Bedeutung zumessen. Kubiciel zählt sich selbst zu dieser Denkschule, die aber noch nicht die „herrschende Lehre“ sei. „Vorfeldtatbestände“ setzten sich etwa im Wirtschaftsstrafrecht immer mehr durch. Seit einigen Jahren wird zudem das umstrittene Konzept des „Feindstrafrechts“ diskutiert, das für bestimmte Gruppen (Sexualstraftäter, Terroristen) rechtsstaatliche Garantien außer Kraft setzt. Vorschläge wie die Präventivhaft für „Gefährder“ sind Ausdruck dieser Richtung. Schon in der Vergangenheit musste das Verfassungsgericht einspringen, um das Verhältnis von Sicherheit und Grundrechten gerade zu  rücken – etwa bei der Sicherungsverwahrung für Gewalttäter“.

Dass bei Terrorvergehen potenziell katastrophale Folgen drohen, erhöht den Druck bei dem Thema. „Ermittler haben bei Terrorismus-Straftaten  immer das Problem, dass sie eigentlich sehr früh zuschlagen müssen, um Taten zu verhindern. Gleichzeitig müssen sie aber so lange zuwarten, bis die strengen Kriterien der Rechtsprechung erfüllt sind. Das ist häufig ein Drahtseilakt“, sagt Kubiciel.

Und es erfordert die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen. „Wer die Strafbarkeit so früh ansetzt, nimmt den Verdächtigen jede Möglichkeit, es sich noch anders zu überlegen“, sagt Ahmed. Bestraft werde dann keine Tat, sondern eine Gesinnung. Abgesehen davon sei nicht bewiesen, dass Samir A. Terrorist werden wollte. Seiner Mutter hatte er erzählt, er wolle in der Türkei eine Koranschule besuchen.

Roland Müller, Axel Habermehl, Stefan Czernin 13.03.2017

http://m.swp.de/ulm/nachrichten/politik/dschihad-reisende_-muenchner-anwalt-will-terror-paragraphen-kippen-14588274.html

Fachanwalt für Strafrecht München, Dr. Adam Ahmed - Rechtsanwaltskanzlei München


Foto: Samir A. mit seinem Anwalt Adam Ahmed im Landgericht München I. Im Mai 2016 wurde Samir A. wegen der „Vorbereitung einer schweren staats- gefährdenden Straftat" verurteilt. Foto: dpa